Mode: Warum fällt es uns so schwer, nachhaltig zu konsumieren?
Wir wissen, dass Mode – und insbesondere Fast Fashion – die Umwelt belastet. Und doch fällt es vielen von uns schwer, unser Konsumverhalten zu ändern. Warum ist das so? Und was kann helfen?
Viele von uns ist Nachhaltigkeit wichtig und wir wollen klima- und umweltfreundlich konsumieren. Doch gleichzeitig sind neue Dinge aufregend. Vor allem neue Klamotten können glücklich machen. Zumindest kurzzeitig. Denn irgendwann haben wir das neue Teil so lange getragen, dass sich das Glücksgefühl verflüchtigt hat und wir uns nach einem neuen sehnen. Warum hat neue Mode so eine magische Anziehungskraft?
Mode ist mehr als nur Klamotte. Egal, ob Fashion Fan, Fashion Victim oder eher der pragmatische Typ: Mit Mode drücken wir uns aus. Sie bringt etwas aus dem Inneren nach außen. Mit dem, was wir anhaben, drücken wir immer etwas aus (ob bewusst oder unbewusst): unsere Persönlichkeit oder unsere Stimmung.
Mode ist natürlich auch Zeitgeist und das ist wohl mit einer der Gründe, warum wir immer wieder zum Kauf angeregt werden: Ständig ändern sich Trends und unsere Sehgewohnheiten. Social Media heizt diese Dynamik ordentlich an: Wenn wir ein Teil zum hundertsten Mal gesehen haben, kommt auch bei uns vielleicht das Gefühl auf: Brauch‘ ich das auch?
Mode ist Kultur – und Therapie
Brauchen ist ein gutes Stichwort. Denn viel zu oft steckt hinter der nächsten Shoppingtour mehr der Wunsch von “haben wollen” als wirklich brauchen. Tim Jackson, Professor am Centre for Environment and Sustainability an der Universität von Surrey, beschäftigt sich seit Jahren mit der Frage: Warum konsumieren wir so viel? Er hat sechs Gründe identifiziert, die vielen von uns bekannt sein dürften:
- Befriedigung unserer Grundbedürfnisse: Eins davon, logisch, angezogen zu sein.
- Glücksgefühle: Viele von uns kennen Frustkäufe oder den Impuls mit einer kleinen Shoppingtour unsere Stimmung aufzuputschen. Und es ist wirklich so, dass beim Kauf von neuen Dingen das Glückshormon Dopamin in unserem Gehirn ausgeschüttet und unser Belohnungssystem aktiviert wird. Natürlich fühlt sich das gut an!
- Attraktivität: Klamotten können uns dabei helfen, uns attraktiv und begehrenswert zu fühlen.
- Identität und Zugehörigkeit: Mode kann aber auch Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe zeigen und therapeutisch wirken. Sie kann dafür sorgen, dass wir auffallen, wenn wir das wollen – oder dass wir in der Masse abtauchen. Sie kann sich wie ein Schutz anfühlen oder wie eine Bühne.
- Status: Man kann sich wundern, warum manche Menschen Unmengen für Markenklamotten ausgeben, aber es steckt ein ganz menschlicher Mechanismus dahinter: Man möchte seine Position in der Gesellschaft zeigen. Im Sinne: Guck mal, das kann ich mir leisten! Für manche sind das Marken wie Balenciaga und Gucci, für andere Armed Angels. Auch nachhaltige Klamotten können ein Ausdruck von Status sein, denn nicht alle haben das nötige Kleingeld dafür.
- Gewohnheit: Manchmal merken wir gar nicht, wie selbstverständlich wir Dinge konsumieren. Auch Shopping kann eine Gewohnheit sein und viele zelebrieren die wöchentliche Shopping-Tour wie ein Hobby.
ABER:
Das hier:
Sieht auch so aus:
Fast Fashion, Slow Desaster
Die meisten von uns sind also nicht frei von diesen Mechanismen. Und doch wissen wir: Wir konsumieren zu viel! Im Durchschnitt kaufen wir Europäer:innen jedes Jahr fast 26 Kilogramm neue Klamotten – und werfen etwa elf Kilogramm davon wieder weg. Und rund ein Fünftel von den Sachen, die wir sowieso schon im Schrank haben, ziehen wir nie an.
Als Konsument:innen beeinflussen wir natürlich den Markt. Und doch sollten doch vor allem die Hersteller in die Verantwortung genommen werden. Denn schließlich sind sie es, die immer mehr Klamotten herstellen und sie in immer mehr Kollektionen bewerben. Wo es früher nur zwei gab, kommen heute jede Woche neue Teile in die Läden. Rund 200 Milliarden Kleidungsstücke wurden im Jahr 2020 weltweit hergestellt – etwa doppelt so viel wie noch 2014. Hergestellt heißt dabei auch noch nicht verkauft: “Nur” 160 Milliarden davon sind tatsächlich über die Ladentheke gegangen.
Die Modebranche ist damit mittlerweile zu einem der größten Umweltverschmutzer der Welt geworden. Das Problem mit der Mode kommt dabei aus drei Richtungen: bei der Produktion, beim Waschen und nach dem Tragen.
Problem 1: Die Produktion
Wasser: Für ein einziges, neues Baumwoll-T-Shirt, braucht es schätzungsweise 2.700 Liter Süßwasser. Das entspricht so viel, wie du sonst in 2,5 Jahren trinkst.
Fläche: Je mehr Textilien beispielsweise aus Baumwolle hergestellt werden, desto mehr Fläche wird für den Anbau in Anspruch genommen.
Öl: Synthetische Fasern wie Polyester werden aus Erdöl produziert. Die Modeindustrie verbraucht jährlich rund 300 Millionen Tonnen Öl.
Co2: Schätzungen zufolge verursacht die Modebranche 10 Prozent der weltweiten CO₂-Emissionen. Sie produziert sogar mehr Co2 als die internationale Luft- und Seeschifffahrt zusammen.
Chemikalien: Weichmacher & Farbstoffe sind nicht nur eine Belastung für die Umwelt, sondern können auch über unsere Haut in unseren Körper gelangen.
Problem 2: Mikroplastik – kleines Teil, verheerende Wirkung
60 bis 70 Prozent der heutzutage produzierten Bekleidung bestehen nicht aus Naturfasern wie Baumwolle oder Seide, sondern aus synthetischen Fasern wie Polyester, Nylon oder Acryl. Bei jedem Waschvorgang lösen sich durch die Reibung kleinste Fasern, die über das Abwasser in die Umwelt gelangen. Unfassbare 700.000 Mikroplastikfasern können dabei bei einer einzigen Ladung freigesetzt werden.
Besonders viele Fasern verlieren Fleece-Produkte. Schön kuschelig sind sie, durch die aufgeraute Oberfläche. Aber dadurch verlieren Fleece Produkte doppelt so viele Mikrofasern pro Waschgang wie andere Polyester-Produkte.
Die synthetische Textilindustrie gilt als einer der größten Verursacher von Mikroplastik. Weltweit stammt etwa 35 Prozent des gesamten Mikroplastikmülls in unseren Ozeanen aus Textilien. Das Mikroplastik wird dann von Fischen und anderen Meereslebewesen geschluckt – und landet wieder bei uns auf dem Teller. Mehr zum Thema Meeresverschmutzung findest du auch in diesem Deep Dive.
Problem 3: Altkleider
Sobald unsere Klamotten ausgedient haben, kommen sie entweder in den Müll oder wir bringen sie in die Altkleidersammlung. Was als nachhaltige Idee entstand, ist mittlerweile zum Problem geworden:
Denn immer mehr unserer aussortierten Sachen landen in Asien oder Afrika. Wir exportieren sie dorthin. Innerhalb von zwei Jahrzehnten hat sich die Zahl der Altkleider, die wir aus der EU exportieren, verdreifacht. Die Menschen können vor Ort wenig mit den Massen anfangen, nur einen Bruchteil können sie selbst gebrauchen, der Großteil wird verbrannt oder landet auf Deponien. Unser Altkleider-Export ist zu ihrem Albtraum geworden.
Ist Recycling die Lösung?
Große Marken setzen mittlerweile auf Wiederverwertung und werben mit recycelten Stoffen. Ganz vorn dabei: Adidas. Der Sportartikelhersteller hat verkündet, bis 2024 nur noch recyceltes Polyester zu verwenden. Laut Geschäftsbericht lag der Anteil 2023 bereits angeblich bei 99 Prozent. Können wir so ruhigen Gewissens shoppen? Immerhin werden so ja Altkleider verwertet und es wird kein neuer Stoff benutzt. Bislang sind solche Kampagnen allerdings nicht mehr als Greenwashing: Dem EU-Parlament zufolge werden weltweit weniger als 1 Prozent der Kleidung bislang recycelt und zur Produktion neuer Stücke verwendet.
Und auch wenn recycelte Stoffe ein Teilproblem lösen, haben sie leider einen Nachteil: Studien zeigen, dass recyceltes Polyester mehr als doppelt so viele Mikrofasern freisetzt als neuwertiges Polyester. Es braucht also neue Stoffe!
Platz da, Plastik!
Eins ist klar: Vor allem die großen Unternehmen müssen in die Pflicht genommen werden, anders zu produzieren. Denn wenn sich schon in der Produktion etwas ändert, sind wir hinten raus besser dran. Gegen das Polyester-Problem gibt es mittlerweile ein paar Ansätze. Noch sind all diese Ideen zwar nicht massentauglich und auch nicht immer perfekt nachhaltig, aber zumindest einen Blick wert:
- Die Designerin Gesine Jost macht Mode aus Brennnesseln.
- Modedesignerin Anke Domaske nutzt Milch, um Fasern für ihre Stoffe zu gewinnen.
- Ein französisches Start-Up entwickelt Stoffe aus Muschelseide.
- Auch Leder aus Ananas und Mode aus Orangenschalen wurde schon produziert.
Das kannst du gegen Mikroplastik und Überkonsum tun:
Möchtest du mehr zum Thema Meer lernen?
Unsere Meere sind Lebensraum für unzählige faszinierende Tiere und Pflanzen. Auch für uns Menschen sind sie von unschätzbarem Wert. Erfahre hier, was sie bedroht und wie wir sie schützen können.